Bodenlange, transparente, weiße Tücher der ‚Value your values‘ Ausstellungsfläche inmitten der kühl beleuchteten Industriehalle der Dutch Design Week erinnern spontan an eine Techno-Party in einer Künstler-WG, auf der ich Mitte / Ende der Neunzigerjahre mit ein paar Freundinnen war.
Es wirkt fast so, als sei das Klare, fast Schonungslose des Sounds, der sich aus einer subkulturellen Nische zum Mainstream etablierte, mit voller Wucht zurück – als Boomerang? Zwar friedlich, energetisch, positiv geladen, aber laut, und nie endend, wummerten Bässe in Underground-Locations, damals schon stillgelegte Lager- oder Großmarkthallen, alte, weiß gekachelte Metzgereien samt Schlachträumen, oder verlassene Freibäder. Für manchen leicht beängstigend, und daher so reizvoll. Schweißerbrillen, bunte, bauchfreie Shirts und Plateausohlen. H&M hielt Einzug in Fußgängerzonen: Die enorme Menge an sehr modischen Klamotten für einen extrem günstigen Kurs, die es sonst nirgendwo gab, bescherte Modebegeisterten Adrenalinausstöße, und ließ gleichzeitig beklemmende Gefühle aufkommen. Eindeutig: Eine neue Zeit war gekommen. Nachhaltig – was? Die Vokabel kannte man damals vielleicht aus dem Physik- oder Biologie-Unterricht.
Jetzt steh ich hier und werde mit den Sünden meines zwar friedfertigen aber völlig gedankenlosen Fast Fashion-Konsums konfrontiert. Möglicherweise wird die Covid-Pandemie später einmal als gesellschaftlicher Wendepunkt bezeichnet. ‚Value your values‘, eine Mitmach-Ausstellung im Rahmen der Dutch Design Week in Eindhoven fragt die Besucher ganz offen, wie viel ihnen ihre Werte wert sind. Die Frage? Deutlich. Am Beispiel Nachhaltigkeit wird schnell bewusst, was die Produkt-Designer von Studio Nienke Hoogvliet versuchen zu verdeutlichen: Ja, Nachhaltigkeit ist wünschenswert und zweifelsohne im Trend, aber sind wir in der Lage, nachhaltige Arbeit wertzuschätzen, also den Wert zu schätzen? Oder bewusst auf Konsum zu verzichten? Zwei hochwertige Schafswollteppiche mit Farbverlauf in Espresso und Milchkaffe-Beige hängen wie eine Wand von der Decke, zwischen den hellen, lichtdurchflutenden Vorhängen. Einer stammt aus Armenien, der andere aus den Niederlanden. Am Eingang, mit Blick auf die beiden Teppiche, erhalten die Besucher ein Klemmbrett mit Kassenzettel, Textmarker und Kugelschreiber. Preise sollen geschätzt werden. Zuerst lediglich nach optischem und haptischem Eindruck. Gleichzeitig soll in diesem Schritt bewertet werden, welche Bedeutung ökologische Produktion, Arbeitsbedingungen, ästhetischer Anspruch oder Tierschutz für einen persönlich haben, für beide Modelle.
Wertschätzung: Materialien, Arbeitszeit. Eine Haltung?
Hinter beiden Teppichen verbirgt sich dann ein überdimensional großer Bon, der offenlegt, welche Produktionsschritte zur Herstellung notwendig waren, sowie Art und Weise der Produktion, ob Handarbeit dahintersteckt oder maschinelle Fertigung. Außerdem erfährt man, welche Materialien und wieviel davon verwendet wurden, woher sie stammen. Inklusive Pflegeanleitung. Die Aufstellung gibt ebenso Einblick in Arbeitszeiten sowohl Kosten der einzelnen Arbeitsschritte als auch des Design- und Produktentwicklungsprozess. Es folgt: Eine zweite Bewertung des Preises, den man für das Produkt als angemessen erachtet.
Blick in die Ausstellung durch den transparenten Vorhang.
Die beiden Teppiche von hinten mit Kassenbon.
Gesammelte Bewertungen.
Slow Down: Glück, Brutalismus und Change
In der Microlab Hall, findet man weitere Produkte und Konzepte aus den Bereichen Mode und Wohnen. Die Frage der Veranstalter: Werden wir nach der Pandemie wieder die alten Wege einschlagen, oder ist es an der Zeit, nicht ausschließlich einseitiges Wirtschaftswachstum zu fokussieren, sondern sich stattdessen Dingen wie Glück zuzuwenden? Da scheint der Brutalismus-Bau aus den 1970er-Jahren, in dem früher Philips Fernseher hergestellt wurden, und der offensichtlich bereits den Wandel hin zu Co-Working Space und Ausstellungsfläche vollzogen hat, ein passender Ort zu sein, um die Arbeiten der Designer und Künstler zu präsentieren, die wegweisend und inspirierend hin zu einer neuen, nachhaltigeren Zukunft sein können. Designer Antoine Peters zeigt Textil-Kunst unter dem Motto ‚Slow Down‘. Eine Haltung, die zeigt, wie wertvoll es sein kann, das, was wir tun oder sagen, einfach nochmal zu überdenken, ihnen eine andere Bedeutung beizumessen, und so einfach ein wenig achtsamer mit uns und dieser wundersamen Zeit umzugehen. Über Jahre fertigte er Skizzen von ineinander verschlungenen Textilien an, die er jetzt zu Skulpturen verarbeitet: „Space Garments“, eine Denim und ein Sweater mit enorm viel Stoff in Knotenoptik. Im Atelier außerdem ein großes, rechteckig gewebtes Textil, im bunten Colorblocking, das geometrische Formen, Linien oder Buchstaben, und ein Auge zeigt. Je nach dem, von welcher Seite man das Textil anschaut, changieren Farben und Formen ergeben ein neues Bild.
Changierend: 'Lenticular Weave'
Skulpturen aus Jeans und Sweat-Stoff, 'Space Garments' von Antoine Peters
Zerbrechlich, eben, lichtdurchlässig – Dutzende von unterschiedlichen Gläsern stehen in ihrer Einfachheit auf einem langen Tisch, um jedes Glas ein Kreis gezogen, wie mit einem Zirkel. EKG-Linien, Worte, Gradzahlen, Zitate, eine Nummerierung entdeckt man erst auf den zweiten Blick. Verschiedene Formen, Größen und Stärken in ihrer Schönheit brechen das Licht individuell, und werfen Schatten. Das Recycling-Projekt von Curculair Warenhuis transportiert eine ganz besonders ruhige, fast festliche Atmosphäre, wie sie möglicherweise nur durch die einzigartige Materialbeschaffenheit von Glas in Kombination mit Lichteinfluss geschaffen werden kann. Ebenso faszinierend, wenngleich nüchterner, prangern Alltagsgegenstände wie Gießkannen, Tabletts oder Utensilos aus Plastik und Computermäuse an der Wand, aber auch aus wertigerem Chrom, Zink oder Edelstahl. Sachen, die nicht mehr modern sind, jedoch in der Zusammenstellung interessant wirken. Gekauft, benutzt, weggeworfen. Gesammelt und jetzt Kunst, veranschaulichen diese paar Teile den Massenkonsum der letzten Jahre.
Sammlung von Glas und Alltagsgegenständen aus dem Recycling-Projekt des Circulair Warenhuis.
Stuhl Rex von Designerin Ineke Hans ist größtenteils nachhaltig aus recyclebaren Materialien produziert, wie Fischernetze, Industrieabfälle, Teppiche oder anderen Stuhl-Komponenten, die nicht mehr benötigt werden. Bereits 2011 gewann der Stuhl ein Design Award, und erfährt nun ein Relaunch mit neuem Konzept: Gegen Pfand kann der Stuhl jederzeit zurückgebracht werden. Praktisch, wenn die Stühle temporär genutzt werden, zum Beispiel für Ausstellungen oder Events. Rex wird dann gecheckt, gesäubert und wenn nötig repariert, um wieder zurück in eine Art Produkt-Nirvana zu dürfen.
Designerin Ineke Hans beim Säubern des Design-Stuhls.
Stühle im Pfand - Rückgabe freiwillig: Rex
Ganz ohne Social Media Challenge geht es auch nicht auf der Dutch Design Week. Inspiration für die entstandenen Körbe, die per Hand aus unterschiedlichsten Materialien geflochten wurden, sind Emojis. Die Kreationen, die aus der Design-Kollaboration 'Bask It' entstanden, können auf dem Instagram Channel @_basketclub_ begutachtet werden. Die Körbe in ihrer Vielfältigkeit an Material, Form, Farbe und Größe sind wirklich anziehende Hingucker. Besonders süß: Ein Marshmallow-Geflecht in Rosa und Weiß.
Quasi 'Multi-Use': Korbgeflecht aus Marshmallows
Designs aus Material von Dedon für die April-Challenge mit dem Sonnen-Emoji. 🌞
Über 2.600 Designer präsentieren ihre Arbeiten auf der Dutch Design Week, in unterschiedlichen Locations, verteilt über die ganze Stadt. Junge Designer des New Order Of Fashion (NOoF) Lab konfrontieren die Besucher ebenfalls mit den Folgen des Massenkonsums und zeigen Alternativen. Impressionen:
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